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Aktuelles Urteil: Passgenaue Krankmeldung nach Kündigung ist angreifbar

19. Dez 2023

Kündigen, krank – und weg? So einfach ist es nicht, so das Bundesarbeitsgericht. Fallen Kündigung und Krankmeldung zeitlich unmittelbar zusammen, kann der hohe Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sein (Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 13.12.2023, Az.: 5 AZR 137/23).


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Sachverhalt

Die Parteien streiten im beendeten Arbeitsverhältnis über Entgeltfortzahlungsansprüche (§ 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz, EFZG).

Der Kläger war für eine Zeitarbeitsfirma seit Mitte März 2021 tätig. Bereits rund einen Monat nach Beginn der Zusammenarbeit wurde der Kläger von der Beklagten nicht mehr eingesetzt. Am 2. Mai 2022 reichte der Kläger dann eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein, die ihn aufgrund einer Infektion der oberen Atemwege bis zum 6. Mai 2022 krankschrieb. Als die Beklagte das Attest erhielt, kündigte sie das Arbeitsverhältnis ordentlich fristgerecht zum 31. Mai 2022. Daraufhin legte der Kläger am 6. Mai eine Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 20. Mai 2022, sowie am 20. Mai 2022 eine Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 31. Mai 2022, vor. Das dritte Attest beinhaltete als weitere Diagnose einen nicht näher bezeichneten Stresszustand. Ab dem 1. Juni 2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf.

Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert. Dem widersprach der Kläger, weil die Arbeitsunfähigkeit bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden habe. 

Entscheidung

Während die Vorinstanzen dem Kläger Recht gaben, ging er vor dem Bundesarbeitsgericht mit seiner Forderung nach Entgeltfortzahlung weitgehend leer aus. Die Revision der Beklagten hatte teilweise – bezogen auf den Zeitraum vom 07. bis zum 31. Mai 2022 – Erfolg.

Grundsätzlich kann ein Arbeitnehmer die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachweisen, so das Bundesarbeitsgericht. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen haben einen hohen Beweiswert. Dieser kann aber erschüttert sein, wenn es Umstände gibt, die berechtigte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit hervorrufen. Dabei kommt es immer auf den Einzelfall an.

Durch wen die Kündigung erfolgt, ist nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts dabei nicht entscheidend. Der Beweiswert kann nach der Entscheidung erschüttert sein, wenn zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist ein zeitlicher Zusammenhang vorliegt und der Arbeitnehmer unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt. Dann trägt der Arbeitnehmer die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch.

Vor diesem Hintergrund sah das Bundesarbeitsgericht für die Bescheinigung vom 2. Mai 2022 den Beweiswert nicht als erschüttert an. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung sei nicht gegeben. Der Kläger habe zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Kenntnis von der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehabt.

Anderes gilt dem Urteil zufolge für die restlichen beiden Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6. Mai 2022 und vom 20. Mai 2022 sei der Beweiswert erschüttert.  Das Landesarbeitsgericht habe berücksichtigen müssen, dass die Übergabe der Kündigung und die Ausstellung der Krankschreibung sowie Krankheitsdauer und Ende des Arbeitsverhältnisses jeweils passgenau zusammenfallen würden. Dies habe zur Folge, dass nunmehr der Kläger für die Zeit vom 7. bis zum 31. Mai 2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG trage. Da das Landesarbeitsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen habe, wies das Bundesarbeitsgericht die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück.

Für die Praxis

Das Bundesarbeitsgericht folgt mit dieser Entscheidung seiner 2021 eingeschlagenen Linie zur Möglichkeit des Arbeitgebers, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Eine entscheidende Tatsache, die ernsthafte Zweifel an einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründen kann, ist insbesondere der enge zeitliche Zusammenhang zwischen Kündigung und Krankmeldung (Stichwort „zeitliche Koinzidenz“).

Allerdings führt dies nicht automatisch zum Entfallen des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung des Arbeitnehmers. Vielmehr muss der Arbeitnehmer dann darlegen und beweisen, dass er tatsächlich erkrankt war. Dies kann er auch weiterhin machen, indem er etwa seine Krankheitsumstände näher erläutert, ärztliche Befundberichte beibringt oder den die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellenden Arzt als Zeugen benennt.  

Pressestelle
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