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Aktuelles Urteil: Die Tücken des betrieblichen Eingliederungsmanagements

31. Okt 2023

Weder darf der Arbeitgeber die Einleitung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) von der Unterzeichnung der Datenschutzerklärung durch den Arbeitnehmer abhängig machen noch ersetzt die Zustimmung des Integrationsamtes ein (unterbliebenes) bEM, so das BAG (Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 15.12.2022, 2 AZR 162/22).

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, auf krankheitsbedingte Gründe gestützten Kündigung.

Die Klägerin, die einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, war bei der Beklagten von Dezember 2014 bis Mai 2020 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Im Mai 2019 fand auf ihre Initiative ein Präventionsgespräch statt, an dem auch Mitarbeiter des Integrationsamts teilnahmen. Im selben Monat lud die Beklagte sie zu einem bEM ein. Nachdem sich die Klägerin jedoch geweigert hatte, die vorgelegte datenschutzrechtliche Einwilligung unverändert zu unterzeichnen, wurde das bEM nicht durchgeführt. Zuletzt wies die Beklagte die Klägerin Ende August 2019 auf die Notwendigkeit der Einwilligung für die Durchführung der Maßnahme hin. Von September bis Oktober 2019 war die Klägerin bei der Beklagten im Rahmen einer Wiedereingliederung tätig. Mitte Dezember 2019 beantragte die Klägerin beim Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung, die der Beklagten im Mai 2020 erteilt worden ist. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich fristgerecht zum 31.12.2020. Ein bEM bot sie ihr vorher nicht mehr an.

Rechtlicher Hintergrund

Sind Beschäftigte innerhalb von zwölf Monaten länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt, hat der Arbeitgeber zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden oder mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann, sog. bEM (§ 167 Abs. 2 SGB IX). Das bEM ist ein verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll.

Entscheidung

Die Kündigungsschutzklage der Klägerin hatte vor dem Bundesarbeitsgericht Erfolg.

Das Gericht entschied, dass die vorliegende Kündigung unverhältnismäßig und damit sozial ungerechtfertigt sei; denn die Beklagte habe nicht dargetan, dass keine zumutbare Möglichkeit bestand, die Kündigung durch mildere Maßnahmen zu vermeiden.

Zwar könne sich der Arbeitgeber zunächst auf die Behauptung beschränken, für den Arbeitnehmer bestehe keine andere – seinem Gesundheitszustand entsprechende – Beschäftigungsmöglichkeit. Soweit jedoch für den Arbeitgeber die Verpflichtung bestand, ein bEM durchzuführen und er dieser Verpflichtung nicht nachkam, sei er, so das BAG, darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten.

Die Durchführung eines bEM ist zwar nicht selbst ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung. Das bEM konkretisiert aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe eines bEM können mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden.

Ein solches bEM hätte die Beklagte nach Ansicht des BAG durchführen müssen. Die Klägerin habe ausdrücklich die Bereitschaft zur Durchführung erklärt. Die Beklagte hätte die Durchführung nicht von der Unterzeichnung der von ihr vorformulierten Datenschutzerklärung abhängig machen dürfen. Sie konnte mit der Klägerin in einem Erstgespräch den möglichen Verfahrensablauf besprechen und versuchen, die offenbar bei der Klägerin bestehenden Vorbehalte auszuräumen. Daneben hätten die Parteien den Kreis der mitwirkenden Stellen und Personen festlegen können. Datenschutzrechtliche Fragen hinsichtlich der Erhebung und Verarbeitung von Gesundheitsdaten seien frühestens dann von Bedeutung, wenn sich die Beteiligten des bEM verständigt haben, welche konkreten Angaben über den Gesundheitszustand für eine Reduzierung der Arbeitsunfähigkeitszeiten erforderlich werden.

Das bloße Vorliegen der Zustimmung des Integrationsamtes begründe auch nicht die Vermutung, dass ein (unterbliebenes) bEM die Kündigung nicht hätte verhindern können. Das bEM und das Zustimmungsverfahren beim Integrationsamt hätten unterschiedliche Ziele, Abläufe und Beteiligte. Während das bEM ein verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess sei, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln solle, überprüfe das Integrationsamt einen vom Arbeitgeber bereits gefassten Kündigungsentschluss und treffe eine Ermessensentscheidung. Der Zustimmung des Integrationsamts könne deshalb keine Bedeutung für den Erfolg bzw. die Erfolglosigkeit eines bEM zukommen.

Für die Praxis

Auch diese Entscheidung des BAG verdeutlicht erneut, wie bedeutsam die ordnungsgemäße Durchführung des bEM vor dem Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung ist. Das Urteil bestätigt die hohen Anforderungen, welche die Rechtsprechung an ein Scheitern des bEM stellt.

Pressestelle
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