Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestätigt und einen Anscheinsbeweis dafür angenommen, dass ein Einwurfeinschreiben zu den üblichen Zeiten eingeworfen wurde.
Der Beweis des ersten Anscheins greift bei typischen Geschehensabläufen ein. Ein Anscheinsbeweis wird dadurch erschüttert, dass der Prozessgegner atypische Umstände des Einzelfalls darlegt und im Fall des Bestreitens Tatsachen nachweist, die die ernsthafte, ebenfalls in Betracht kommende Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs nahelegen.
(Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 20.06.2024, 2 AZR 213/23)
Sachverhalt
Die Parteien streiten über den Zeitpunkt, zu dem das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung des Beklagten aufgelöst worden ist.
Im Arbeitsvertrag ist eine Kündigungsfrist von einem Vierteljahr zum Quartalsende vereinbart. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.12.2021. Das per Einwurfeinschreiben an die Deutsche Post AG übergebene Schreiben wurde laut Auslieferungsbeleg am 30.09.2021 in den Briefkasten der Klägerin eingeworfen.
Die Klägerin bestreitet einen Einwurf des Schreibens in ihren Hausbriefkasten zu den üblichen Postzustellungszeiten mit Nichtwissen. Mit einer Entnahme am selben Tag sei deshalb nicht zu rechnen gewesen, so dass der Zugang erst am 01.10.2021 erfolgt sei. Das Arbeitsverhältnis habe erst am 31.03.2022 geendet.
Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung des Beklagten zum 31.12.2021 beendet wurde, da das Kündigungsschreiben am 30.09.2021 zugegangen ist.
Das Kündigungsschreiben eines Arbeitgebers gehe mit Einlegen in den Hausbriefkasten beim Empfänger zu, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen sei. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten. Individuelle Verhältnisse des Empfängers, wie Krankheit oder Abwesenheit, sind dabei unerheblich. Nach allgemeiner Lebenserfahrung werde der Briefkasten nach den üblichen Zustellzeiten (Arbeitszeiten der Postbediensteten) am selben Tag geleert.
Der Auslieferungsbeleg der Deutschen Post AG sei ein Anscheinsbeweis dafür, dass das Schreiben während der regulären Arbeitszeit des Postboten eingeworfen worden ist und die Klägerin noch am selben Tag hiervon Kenntnis nehmen konnte.
Das BAG betont zwar, dass ein Anscheinsbeweis durchaus erschüttert werden könne, indem man atypische Geschehensabläufe darlege und gegebenenfalls beweise. Das von der Klägerin vorgenommene Bestreiten des Zugangs mit Nichtwissen reiche hierzu jedoch nicht aus. Die Klägerin legte keine atypischen Umstände dar, die einen abweichenden Geschehensablauf nahelegen.
Da die Klägerin keine Tatsachen vorgetragen hatte, aus denen sich ein anderer Zustellzeitpunkt außerhalb der üblichen Zeiten ergab, war davon auszugehen, dass das Schreiben die Klägerin am 30.09.2021 zu den üblichen Zustellzeiten in ihrem Briefkasten erreichte. Daher hatte sie bereits am 30.09.2021 die zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme.
Praxishinweis
Mit seiner Rechtsprechung erleichtert das BAG Arbeitgebern den Zugang wichtiger Dokumente am selben Tag, da nunmehr ein Anscheinsbeweis für den Zugang zu den postüblichen Zeiten am selben Tag herangezogen werden kann.
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