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Aktuelles Urteil: SMS vom Chef darf nicht immer ignoriert werden

28. Okt 2024

StockSnap auf Pixabay

Beschäftigte müssen in ihrer Freizeit auf dienstliche SMS reagieren – zumindest, wenn eine Be­triebs­ver­ein­ba­rung vorsieht, dass Dienste kurzfristig konkretisiert werden können. Das hat das BAG im Fall eines Rettungssanitäters entschieden. Der Arbeitgeber hatte ihm eine Abmahnung erteilt und Stunden abgezogen.
(Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 23.08.2023 – 5 AZR  349/22)

Sachverhalt

Der Kläger war Notfallsanitäter bei der Beklagten, die den Rettungsdienst in fünf Kreisen in Schleswig-Holstein durchführte. Die Parteien wandten den TVöD-VKA kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme an. Die Auseinandersetzung bezog sich auf die Zuweisung von Diensten, insbesondere auf kurzfristige Änderungen im Dienstplan.

Es existierte eine Betriebsvereinbarung über die Arbeitszeitgrundsätze im Einsatzdienst. Nach der Betriebsvereinbarung der Beklagten durften „unkonkret zugeteilte“ Dienste für Tag- und Spätdienste von der Beklagten noch bis 20.00 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn im Dienstplan weiter konkretisiert werden. Die Beklagte teilte dem Kläger am 08.04.2021 einen Dienst zu, den er aufgrund möglicherweise nicht mehr rechtzeitiger Information seitens der Beklagten nicht angetreten hatte. Die Beklagte wertete dies als unentschuldigtes Fehlen, erteilte eine Ermahnung und zog elf Stunden vom Arbeitszeitkonto ab. Am 14.09.2021 setzte die Beklagte für den Folgetag einen Tagdienst in einer Rettungswache mit Beginn um 6.30 Uhr an. Der Kläger war an diesem Tag nicht im Dienst. Versuche der Beklagten, ihn telefonisch zu informieren, blieben erfolglos. Die Beklagte sandte dem Kläger eine SMS und eine E-Mail mit der Information über den zugeteilten Dienst. Am 15.09.2021 zeigte der Kläger um 7.30 Uhr telefonisch seine Arbeitsbereitschaft an. Die Beklagte forderte ihn zur unverzüglichen Arbeitsaufnahme auf und der Kläger trat den Dienst schließlich um 8.26 Uhr an. Die Zeit von 6.30 Uhr bis zum Dienstantritt wertete die Beklagte als unentschuldigtes Fehlen und zog 1,92 Stunden vom Arbeitszeitkonto des Klägers ab. Darüber hinaus erteilte sie dem Kläger eine Abmahnung wegen unentschuldigten Fehlens.

Hiergegen wandte sich der Kläger. Der Kläger begehrte Wiedergutschrift der Arbeitsstunden auf dem Arbeitszeitkonto und die Entfernung der Abmahnung. 

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht erklärte das Urteil der Vorinstanz für fehlerhaft. Es entschied, dass die Abmahnung des Notfallsanitäters ebenso wie der Abzug der Stunden auf dem Arbeitszeitkonto rechtmäßig erfolgt seien. Dazu führte das Gericht aus, dass der Arbeitgeber sich an den in Frage stehenden Tagen nicht im Annahmeverzug befunden habe, da der Arbeitnehmer seine geschuldete Arbeitsleistung als Notfallsanitäter nicht wie erforderlich angeboten habe.

Der Arbeitgeber hatte dem Arbeitnehmer unstreitig per SMS mitgeteilt, den Dienst 6.30 Uhr aufzunehmen. Dies genügte nach Ansicht des BAG dafür, dass der Notfallsanitäter sich tatsächlich um 6.30 Uhr zum Dienst hätte einfinden müssen. Der Arbeitgeber habe dadurch – entsprechend der Betriebsvereinbarung – den im Dienstplan eingetragenen Springerdienst wirksam konkretisiert und dem Arbeitnehmer eine entsprechende Weisung erteilt.

Ist der Arbeitgeber nach den betrieblichen Regeln berechtigt, die Arbeitsleistung für den darauffolgenden Tag hinsichtlich Zeit und Ort zu konkretisieren, besteht für den Arbeitnehmer eine (leistungssichernde) Nebenpflicht aus dem Vertragsverhältnis, die per SMS mitgeteilte Weisung zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn diese ihn in seiner Freizeit erreicht. Die Kenntnisnahme einer solchen Weisung in der Freizeit stellt keine Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne dar.

Unter den Begriff Arbeitszeit i. S. d. RL 2003/88/EG fallen solche Zeitspannen, während derer dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, die Zeit frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen. Erreichen die Einschränkungen keinen solchen Intensitätsgrad und erlauben diese es dem Arbeitnehmer, über seine Zeit zu verfügen und sich ohne größere Einschränkungen seinen eigenen Interessen zu widmen, liegt keine Arbeitszeit für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie vor. Die Möglichkeit des Klägers seine Freizeit frei zu gestalten, wird nicht ganz erheblich i. S. d. Rechtsprechung beeinträchtigt. Der eigentliche Moment der Kenntnisnahme der SMS ist so geringfügig, dass vorliegend nicht von einer ganz erheblichen Beeinträchtigung der Nutzung der Freizeit gesprochen werden kann. 

Die Arbeitsstunden wurden daher zu Recht vom Arbeitszeitkonto abgezogen. Zudem habe die Beklagte den Kläger zu Recht abgemahnt, da er durch sein Verhalten seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt hat.

Praxishinweis

Damit liegt die Antwort des BAG auf die Fragen vor, ob der Arbeitnehmer auf kollektivrechtlicher Grundlage verpflichtet werden kann, in der Freizeit Mitteilungen des Arbeitgebers entgegenzunehmen (ja, bei konkreter Ausgestaltung der dafür relevanten Fallgestaltung und in begrenztem zeitlichem Rahmen) und ob das Entgegennehmen Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinn darstellt (nein im Fall bloßer Kenntnisnahme). Geklärt sind damit längst nicht alle Fragen der betrieblichen Praxis, jedoch für die Gestaltung betrieblicher Regelungen für eine zulässige Kontaktaufnahme außerhalb der Arbeitszeit bringt die Entscheidung erste Klarheit.

Pressestelle
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